Jugendstil (1890 – 1920)

Im Jahr 1896 erschien in München erstmals die Zeitschrift „Die Jugend“, in der avantgardistische Künstler und Schriftsteller ihre Werke veröffentlichen konnten. Die Zeitschrift erfreute sich großer Beliebtheit und gab später der Kunstrichtung jener Jahre den Namen „Jugendstil“.

Der Jugendstil entwickelte sich zu einer internationalen Stilrichtung zwischen Floralismus und Sachlichkeit von etwa 1890 – 1920, die in Frankreich ART NOUVEAU, in England MODERN STYLE und in Österreich SECESSIONSSTIL genannt wurde.

Der Jugendstil entstand als Gegenbewegung zum Historismus des 19. Jahrhunderts („Ringstraßenstil“) und war Ausdruck der Avantgarde, der „Neuen Modernen“, die dem überladenen Stil Hans Markarts (Neubarock) neue Formen für alle Bereiche der Kunst und des Lebens entgegensetzte. Aus Material und Funktion eines Gegenstandes wurde das Design entwickelt.

„Ich möchte Sie daran erinnern, daß einst jedermann, der ein Ding machte, es als ein Kunstwerk und zugleich als nutzbares Hausgerät schuf. Während heute nur sehr wenige Dinge auch nur den geringsten Anspruch darauf haben, als Kunstwerke angesehen zu werden.“

William Morris.

Er und die Art-and-Crafts-Bewegung waren Wegbereiter der neuen Stilrichtung in England.

In Schottland dominierte die Glasgow-School mit dem Architekten Charles Rennie Mackintosh, der auch einen starken Einfluß auf den Wiener Jugendstil hatte.

In Frankreich entwickelten E. Berard und Gauguin, angeregt von japanischen Farbholzschnitten, einen umrißbetonten Flächenstil. Zu den formalen Besonderheiten zählen Flächenhaftigkeit und Betonung der Linie als dynamisch bewegtes Ausdrucksmittel.
Toulouse Lautrec machte durch seine Plakate den neuen Stil populär. Hector Guimard’s Name ist untrennbar mit der Pariser Metro verbunden.

In Spanien war Antoni Gaudi tonangebend, L.C. Tiffany in den USA und der Goldschmied P.C. Faberge in Rußland.

Jugendstil in Österreich

Der österreichische Jugendstil unterscheidet sich wesentlich von dem des restlichen Europa. Wien war das Zentrum. Im Gegensatz zu den floralen Motiven und Formen des Franzosen Charles Plumet (formal ausgreifende skulpturale Linienführung) entwickelte sich in Wien ein eigener Stil; klare Linien wurden sowohl in der Architektur (Adolf Loos: Villa Steiner, Haus am Michaelerplatz; Otto Wagner: Wiener Stadtbahnstationen, Postspar- kassenamt in Wien) wie auch im Möbeldesign (Josef Hoffmann, Kolo Moser) bevorzugt.

Die Wiener Künstler schlossen sich unter der Führung des Schriftstellers Hermann Bahr, des Malers Gustav Klimt und des Architekten Otto Wagner zur „Wiener Secession“ zusammen.
Vereinsgebäude: Secession am Wiener Naschmarkt (von den Wienern das "Goldene Krauthappel“ genannt). Vereinsorgan der Secession: Ver Sacrum
1903 erfolgte die Registrierung der„Wiener Werkstätten“ im Handelsregister, der Produktionsgesellschaft, in der die künstlerischen Mitglieder der Secession (u.a. Otto Wagner, Koloman Moser, Josef Hoffmann, Michael Powolny, Josef M. Olbrich, Mathilde Floigl) gemeinsam mit den Handwerkern tätig waren.

Die einzelnen Sparten der Kunst waren im Jugenstil nicht getrennt, sondern gingen fließend ineinander über. Die Künstler waren bestrebt, ein Gesamtkunstwerk entstehen zu lassen. Sie brachten ihre avantgardistischen Ideen in alle Bereiche der Kunst und des Lebens ein: Literatur – Musik – Malerei – Architektur – Möbeldesign – Stoffdesign – Tapeten – Beleuchtungskörper – Schmuck – Tafelgeschirr – Glas – Öfen.
So stammen z.B. von J. Hoffmann Entwürfe für Möbel, Möbelstoffe, Vorhangstoffe (Erzeugung der Stoffe durch die Firma Backhausen, die auch heute noch Stoffe nach Original-Entwürfen auf den alten Original-Webstühlen herstellt!), Tafelgeschirr, Trinkgläser und Keramiken.

Die Liebe zum Detail ist überall sichtbar: Facettierte Gläser, mit Gold bemalte Glasscheiben, ornamentierte Holz- und Perlmutt-Intarsien, Messing- oder Nickelbeschläge, Messingeinfassungen etc. Seltene und teure Hölzer wurden verarbeitet: Kirsche, Vogelaugenahorn, Esche, Mahagoni, Palisander, aber auch Eiche und Nuß.

Für die Gestaltung der Möbel- und Vorhangstoffe nahm man Anleihe bei japanischen Holzschnitten: Florale Formen, wellenförmig zu weichen Ornamenten verbunden, Blätter und Blüten werden schematisiert, Dreiecksbäumchen aneinandergereiht, Kelchblüten an dünnen Stengeln, Rautenmuster. Ein wichtiger und bedeutender Zweig der Jugendstilmöbel waren Buchholzmöbel.

Bugholzmöbel

1830 führte Michael Thonet die ersten Versuche mit gebogenem Holz durch. Furnierblätter, parallel zur Faserrichtung in gleichmäßige Streifen geschnitten, in Leim gekocht, wurden zu mehreren Bündeln übereinander gelegt und über Holz-, später Eisenformen gebogen. Die erreichte Biegung nahm dabei mit der Dicke der Furnierstreifen ab. Für stark gebogene Teile waren daher mehrere dünne Streifen erforderlich.
Nachteil des Verfahrens: der hygroskopische Leim zog Wasser an und verlor damit die Bindekraft.
1856 gelang es Thonet, Holz nach längerem Wässern und Dämpfen und mit Hilfe von Eisenblechstreifen in Gußformen zu biegen. Holz in gerader Richtung, seinem Wuchse entsprechend, geschnitten und nach der verlangten Form in massive Stücke gebogen ermöglicht, Leichtigkeit und große Stärke mit Zierlichkeit und Elastizität zu verbinden.

Die natürlichen Eigenschaften des Holzes und seine Grenzen zu überlisten, indem er die Wirkung des Biegevorganges an der richtigen Stelle beeinflußte und ausnützte, war die große erfinderische Leistung Michael Thonets und zugleich die Voraussetzung für die Massenproduktion von Bugholzmöbeln.

1842 wurde Michael Thonet von der K.k. allgemeinen Hofkammer in Wien das Patent „Holz in beliebige Formen und Schweifungen zu biegen“ verliehen. 1853 wurde das Patent erneuert und blieb bis 1869 in Kraft. Nach dem Auslaufen des Patents nahm die Bugholzmöbelindustrie eine dermaßen rasante Entwicklung, daß im Jahr 1893 51 Firmen (darunter 25 in Österreich-Ungarn) gezählt wurden. Die Firma Jacob&Josef Kohn in Wien wurde zum größten Konkurrenten Thonets.
Während die Firma Thonet eine bis zwei Stunden brauchte, um die Holzstäbe durch Wasserdampf biegsam zu machen, verfügte die Firma Kohn über einen Apparat, der die Möbelteile in nur 3 - 5 Minuten bearbeitete. Dadurch war es möglich, in den 4 Fabriken der Gebrüder Kohn täglich 5.500 Möbelstücke zu produzieren.

Anläßlich der Pariser Weltausstellung 1900 beschloß die Firma Kohn, den Wiener Architekten und Schüler Josef Hoffmanns, Gustav Siegel, in ihr Entwurfbüro aufzunehmen. Mit Siegels Ausstellungsraum gewann die Firma Kohn den Grand Prix der Pariser Weltausstellung.
Dieser Erfolg veranlaßte auch die Firma Thonet, vermehrt mit Architekten zu arbeiten. Zu den bekanntesten Designern der Firmen Kohn und Thonet zählen: Josef Hoffmann, Otto Wagner, Adolf Loos, Koloman Moser, Gustav Siegel und Otto Prutscher.

1923 Fusionierung der drei größten österreichischen Firmen J. und J. Kohn, Mundus und Thonet.

 

 

Literaturnachweis: Meyer Konversations Lexikon; Jugenstil, Siegfried Wichmann; Thonet-Buch; A. von Vegesack, Dr. A. Bangert; Jakob&Josef Kohn Katalog; DuMont's Lexikon d. Möbelkunde; Fritz Winzer, Persönliche Chronik, Chronik Verlag.